Kantonesisch lernen

Papa_und_ich.jpg

Geschrieben für das Asian Film Festival Berlin, Dimsumification Performance, 14. Oktober 2017

Alle beim Kochen, quatschen.

MARIE : Da wir zusammen kochen, fällt mir ein, das Kochen ist ein der wichtigsten Dingen, die mein Vater mir beigebracht hat.

Aber er war nie so gut mit Erklären. Ich würde fragen:

– Wie machst du es? Wie lange? Was hast du drin getan?

Er würde antworten:

– Wieso? Ich weiß es nicht. Ich mache es einfach nach Gefühl…

Und das ist eine der vielen Beispiele, warum ich immer gedacht habe, mein Vater wäre ein schweigender Mann.

NIKOLA: Und? Ist er so?

MARIE : Mein Vater ist in Hong Kong geboren, und ist in 1976 nach Paris ausgezogen. Er hat meine Mutter getroffen und ist geblieben. Ich bin dann in 1990 in Paris geboren.

(Photo von ich und meinem Vater)

In 2012 bin ich mit ihm zusammen nach Hong Kong geflogen, um meine Familie zu besuchen.

(Photo von meiner Familie)

Und da war er ein anderer Mann. Ich beobachtete wie seine Brüder ihn betrachten. Wie die Anderen seine Ratschläge suchten, wie Leute ihm aufmerksam zuhörten weil er der Älterste war.

Und ich konnte nichts verstehen, da ich kein Kantonesisch sprach.

In 2014 wollte ich noch einmal nach Hong Kong fliegen. Und dieses Mal wollte ich ein bisschen Kantonesisch lernen. Und ich dachte, ich würde dann mit meiner Familie sprechen üben und wieder zurück zu Hause, mit meinem Vater sprechen können.

Ich habe für den Sommer eine Flugkarte gebucht und habe eine Sprach-Lern-Methode gesucht. Ich habe oft gehört, das Kantonesisch keine Sprache ist, sondern ein Dialekt, oder nur ein Slang. Sogar meine Tante in Hong Kong dachte so.

Aber Kantonesisch ist eine Sprache.

Ich habe angefangen, mit der Pimsleur Methode zu lernen.

(Bild von der Pimsleur Methode)

Das sind jeweils 30 Minuten Unterrichtseinheiten. Die Idee ist, keine Grammatik zu lernen, sondern aber einfach durchs Wiederholen Strukturen auswendig zu lernen.

Ich dachte, perfekt, ich brauche ungefähr 20 Minuten zur Arbeit, hin und zurück, ich höre zu und wiederhole eine Lektion pro Tag.

Zu dieser Zeit war ich Französischlehrerin, bei dem Institut Français in Edinburgh.

Die ersten Fragen, die man mit unserem Französischen Buch lehrte waren:

(Gesprochen)

(Untertiteln auf dem Leinwand)

Comment tu t’appelles ?

Wie heißt du?

Quel âge as-tu ?

Wie alt bist du?

Quelle est ta nationalité ?

Welche Nationalität bist du?

Quelles langues est-ce que tu parles ?

Welche Sprachen sprichst du?

Est-ce que tu as des frères ou des sœurs ?

Hast du Geschwister?

Est-ce que tu étudies ?

Bist du ein Student?

Qu’est-ce que tu aimes ?

Was magst du?

Ich dachte, die ersten Fragen, wären wahrscheinlich etwas ähnliches in der Pimsleur Methode für Kantonesisch. Also, ich höre die ersten Lektionen zu:

(Aufnahme)

(Untertiteln)

This is unit 1 of Pimsleur Cantonese 1

Listen to this conversation:

(Gespräch auf Kantonesisch)

In the next few minutes, you will learn not only to understand this conversation, but to take part in it.

Imagine an American man meeting a Cantonese woman.

He wants to begin a conversation.

So he says : excuse-me (…)

(Aufnahme fade out)

Hier ist die erste Lektion von Pimsleur Kantonesisch 1. Höre dieses Gespräch zu:

(Gespräch auf Kantonesisch)

In der nächsten Minuten, wirst du lernen, dieses Gespräch zu verstehen und dem teilzunehmen.

Stell dich vor einen Amerikaner, der eine Cantonesische Frau trifft.

Er möchte ein Gespräch beginnen.

Er sagt: Entschuldigung (…)

Und hier sind die Fragen, die ich gelernt habe:

Aufnahme

Sprichst du Englisch?

Aufnahme

Wie geht’s dir?

Aufnahme

Bist du Chinesin?

Aufnahme

Möchtest du mit mir Mittagsessen haben?

Aufnahme

Möchtest du etwas zum Trinken?

Aufnahme

Möchtest du Wein zum Trinken?

Aufnahme

Möchtest du dass wir bei mir zusammen trinken?

NIKOLA: Oder bei Dir?

Bist du allein?

MARIE : Fragen nach Beschäftigung, Familie, sogar Name, wird mir nicht beigebracht. Über die weibliche Stimme, die dem Amerikaner antwortet, erfahre ich nichts.

Hong-Kong war eine Britische Kolonie von 1841 bis zum 1997, Datum der Übergabe der Staatshoheit an die Volksrepublik China.

(Photo der Übergabe)

Die Methode wurde in der 90er Jahren erschafft. Die 90er Jahre waren noch die goldene Zeit des Hong Kong Booms. Viele Westliche Geschäftsleute sind dort hingeflogen, um Business zu machen.

Dank der Kolonialisierung, war Hong Kong zweisprachig.

Kantonesisch war dann doch praktisch, um sich unter die lokale Bevölkerung zu mischen.

Der gewöhnliche weiße Geschäftsmann, der in Hong Kong ankommt, arbeitet sechzig Stunden pro Woche, spricht Englisch mit Kollegen, ist single oder tut so, braucht ein bisschen Spaß und Sozialisierung neben der Arbeit.

Ich wollte mit meiner Familie und meinem Vater reden können. Und stattdessen lernte ich wie man eine Hong-Kong Frau abschleppt.

Was gebraucht wird, gestaltet das, was möglich ist. Was wir sagen können, begrenzt unsere Realität. Ich habe diese Methode weggeschmissen. Ich brauchte etwas anders.

NIKOLA: Und dann, hast du doch mit deinem Vater gesprochen?

MARIE : Ja, das versuche ich noch. Ich spreche einfach mit ihm und frage nach neuen Wörtern, wenn ich irgendwelche brauche. Wie ein Kind.

Vielleicht entdecke ich dann, dass er immer noch ein schweigender Mann ist, sogar auf Kantonesisch, vielleicht aber auch nur mit mir. Aber dann hat er die Wahl.

Untertiteln
Aufnahme auf Kantonesisch

Aufnahme auf Kantonesisch

Hast du schon gefrühstückt?

Noch nicht, und du?

Leave a comment